[sage] ITIL, ISO9000 et al. (was: Re: Warum ich keine Bandlaufwerke mag)

Benedikt Stockebrand me at benedikt-stockebrand.de
Mon Sep 27 14:51:48 CEST 2010


Moin Helmut und Liste,

(wir kommen hier ja wirklich auf Themen...)

Helmut Springer <delta at irc.belwue.de> writes:

>> Ja, aber es führt auch dazu, dass Leute Konzepte schreiben, mit
>> denen sie sich bestmöglich aus der Verantwortung ziehen, statt
>> konstruktive Lösungen zu bringen.
>>
>> Sorry, ist wirklich nicht böse gemeint, aber ITIL, ISO9000 und wie
>> sie alle heißen führen oft genug zu solchen Entwicklungen, wenn
>> man diesem Phänomen nicht aktiv entgegenwirkt.
>
> Das gilt so pauschal fuer jede Art der umfaenglichen Dokumentation.

nein, nicht unbedingt: Das Problem tritt erst auf, wenn die
Befürchtung besteht, dass Dokumentation "gegen einen verwendet werden
kann" oder sonstwie als Machtinstrument missbraucht wird.

Aber Du hast insofern Recht, als ohne Dokumentation diese Angst
unberechtigt ist -- wobei man dann wiederum Angst haben muss, dass
mündliche Absprachen später geleugnet werden und man wieder der
Sündenbock ist ("Chef, ich habe x-mal gesagt, dass das Backup mit
dieser Hardware nicht zuverlässig funktionieren kann" -- um mal wieder
zu einem früheren Thema im Thread zurückzukommen).

Leider kann man in Umgebungen ab einer gewissen Größe seine Arbeit
nicht mehr vernünftig machen, wenn es keine Dokumentation, Prozesse
etc. gibt.

Ich habe durch die Workshops ein paar Umgebungen erlebt, die
einerseits sehr wohl extrem strukturiert -- ob nun nach ITIL, ISO9000
oder gesundem Menschenverstand -- gearbeitet haben, aber andererseits
genau diese Probleme mit Schuldzuweisungen und Machtkämpfen einfach
nicht aufkam.  Das Ergebnis war ausnahmslos ein Team, das ganz
selbstverständlich Sachen stemmen konnte, an denen andere Pleite
gegangen wären.

>> Deshalb haben sie [ITIL, ISO9000 et al.] bei manchen Technikern so
>> einen schlechten Ruf -- das beruht auf handfesten schlechten
>> Erfahrungen.
>
> ...idR bei erschreckendem Unvermoegen zur Unterscheidung von
> Standard und erlebter Standard­Implementierung.

Ja und nein.  Die Standards ignorieren meines Wissens dieses Problem
(und ein paar andere obendrauf) oder widmen ihnen zumindest nicht den
Stellenwert, der ihnen nach den vorliegenden Erfahrungen eigentlich
zukommen müsste -- von daher kann man es so sehen, dass es nichts mit
dem "Standard an sich" zu tun hat.  Andererseits liefern die Standards
den Nährboden für genau diese Probleme, wie man sie bei den
Implementierungen immer wieder erlebt.  Damit kann man sie sehr wohl
als inhärente Probleme des Standards sehen.

Die wesentliche Frage ist in meinen Augen, vor allem in wachsenden
Umgebungen, wie man sich die Standards sinnvoll zunutze macht, ohne
dabei in genau diese Probleme hineinzulaufen.  Und das ist eine Frage,
die erstens nichttrivial ist, zweitens zum guten Teil nur individuell
zu beantworten ist und drittens oft genug massiv unterschätzt wird.

> Und einer geradezu irrationalen Angst, die eigene Stellung durch
> Schwaechung des "Magie-Charakters" der Techniker-Taetigkeit
> abzuwerten.

Womit wir wieder beim Thema "Machtgehabe", "Hackordnung" etc. wären.
Wenn dieser Punkt erreicht ist, dann ist es meiner Meinung und auf
Basis meiner persönlichen Erfahrungen wichtiger, überhaupt erstmal
eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Technikern und
Nicht-Technikern (ob nun Managment, End User oder was auch immer)
wiederherzustellen, statt Prozesse festzulegen oder Dokumentationen
und Konzepte zu schreiben.

Dummerweise ist es einfacher, Papier zu bearbeiten und dann -- dank
offizieller Zertifizierung -- so zu tun, als ob damit die Probleme
gelöst wären.

> Immer wieder faszinierend bei einem Personenkreis, der nach eigenem
> Selbstverstaendnis viel Wert auf Rationalitaet und Objektivitaet
> legt.

Umgekehrt ist es ähnlich faszinierend, wie bei manchen(!) Managern mit
kaufmännischem Hintergrund keinerlei Rücksicht auf elementare
Grundrechenarten genommen wird und offensichtlicher kaufmännischer
Pfusch als "Management-Entscheidung" kaschiert und bis zum Rausschmiss
(des Managers) oder Konkurs fortgeführt wird.

Das ganze ist kein Problem eines bestimmten Personenkreises, sondern
ein durchgehendes Verhalten in dysfunktionalen Umgebungen.


Viele Grüße,

    Benedikt

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Benedikt Stockebrand, Dipl.-Inform.   http://www.benedikt-stockebrand.de/




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